Auf dem Königsweg auf die Wildspitze

Wie eine Mauer steht die fast drei Meter hohe Eiswand neben den zehn Bergsteigerinnen und Bergsteigern. Direkt unter ihr verläuft ein schmales Schuttband, daneben fällt die Wand fast senkrecht auf den darunter liegenden Rofenkarferner ab. Stellenweise bilden Eis und Felsbrocken eine abschüssige Rutschbahn. Wie gut, dass der Pickel im festen Firn gut hält und eine rasche Sicherung zusätzliche Sicherheit bietet.

Eine Hochtour auf die Wildspitze bot noch vor Jahren und auf dem Normalweg über das Mitterkarjoch nur wenige Herausforderungen. Heuer zeigen die Veränderungen an den hohen Bergen, wie wichtig Flexibilität ist. Und als Bestandteil zu einem Ausbildungskurs gehört.

Die neunköpfige Ausbildungsgruppe aus der Sektion Mühldorf unter Leitung von Theresa Kabisch und Markus Honervogt plant den Aufstieg über das Mitterkarjoch und – wegen der massiven Steinschlaggefahr dort – den Abstieg über den Jubiläumsgrat. Das Gespräch mit einem Bergführer am Tag vor der Tour macht diesen Plan zunichte. Er würde diesen Weg nicht mehr gehen, so seine Auskunft, das sei Russisches Roulette.

Bei der Tourenplanung am Vorabend wird schnell klar: Wir werden diese Einschätzung respektieren und ebenfalls auf den Ost- oder Jubiläumsgrat ausweichen, früher die Königstour auf den mit 3768 Metern höchsten Berg der Ötztaler Alpen, heute vor allem auch die sicherere Alternative zum Normalweg.

Wie wichtig Kreativität und Durchsetzungsvermögen im Alpinismus auch unabhängig vom Klimawandel sind, zeigt sich schon um 5 Uhr beim Frühstück. Die strengen und eher unfreundlichen Hüttenregeln schreiben vor, dass sich jede Gruppe nacheinander das Frühstück in der Küche holt, sobald die gesamte Gruppe anwesend ist. Ein heilloses Anstehen und Warten!

Weil wir sehr pünktlich und schon vor 5 Uhr komplett Stellung vor der noch geschlossenen Küchentür beziehen, sind wir die ersten beim Frühstück. Als wir eine halbe Stunde später aufbrechen, warten die letzten noch immer auf ihren Kaffee.

Über Schrofen geht es auf den Rofenkarferner, dann mit Steigeisen und Seil sehr steil hinauf zum Jubiläumsgrat, 40 Grad im bestem Trittfirn zeigen, wie gut alle am Vortag das Gehen mit Steigeisen gelernt haben. Oben, auf über 3500 Metern, erwarten uns Nebel und Wind, nach einer kurzen Trinkpause führt der Weg noch steiler und eisig auf den eigentlichen Jubiläumsgrat.

Wir balancieren zwischen Abgrund und Randspalte, schaudern beim Anblick der nahen Abbruchkante einer riesigen Wechte, klettern durch brüchiges Blockgelände auf und ab. Als die kitzligste Stelle dank Konzentration, Trittsicherheit und eines Bohrhakens gemeistert ist, steht dem Gipfelerfolg nichts mehr im Weg.

Das konsequente Frühstück beschert uns den Gipfel eine Viertelstunde lang ohne andere Bergsteiger, bevor viele Seilschaften nacheinander über den Normalweg durchs Mitterkarjoch eintreffen, allen Steinschlagwarnungen zum Trotz.

Wir steigen zügig wieder ab und lernen, dass der Runterweg bei einer Hochtour genauso schwierig und lang sein kann, wie der Aufstieg. Vor allem dann, wenn ein Steigeisen nach der halben Strecke den Geist aufgibt und nur mit Kabelbindern und Panzertape halbwegs am Schuh gehalten werden kann.

Das ganze Know How für eine Tour in  Schnee und Eis

Der Tag zuvor seht ganz im Zeichen der Ausbildung für Hochtouren im Gletschergebiet. Das einst ewig genannte Eis, ist zwar unter der Wildspitze weit zurück gegangen. Trotzdem bietet der Rofenkarferner nur eine gute Stunde von der Breslauer Hütte entfernt ausreichend Trainingsmöglichkeiten.

Richtiges Gehen mit Steigeisen, der Umgang mit Eispickel und Eisschraube, Seilhandling auf dem Gletscher und vor allem die Technik zur Rettung nach einem Spaltensturz bestimmt den langen Trainingstag. Unterbrochen nur von einer kurzen Mittagspause auf einem kleinen Schuttfeld mitten auf dem Gletscher üben die Teilnehmer in Dreier-Seilschaften ein ums andere Mal, wie eine verunglückte Bergsteigerin gerettet werden kann.

Bis der letzte T-Anker gegraben ist, ist der Nachmittag weit fortgeschritten, die Übungen aber noch nicht am Ende. Nach einer kurzen Kaffeepause auf der Terrasse geht es an die Kletterrouten, die in die Hüttenwand geschraubt sind. Christoph hängt unter den Augen vieler Hüttengäste rasch zwei Routen ein, bevor Theresa demonstriert, wie sich eine erfahrene Bergsteigerin selbst aus der Spalte befreien kann – sofern sie die Technik beherrscht und über die notwendige Kraft und Geschicklichkeit verfügt. Als geübte Kletterer probieren einige Teilnehmer die Technik erfolgreich aus, prussigen sich in die Höhe und bauen die ganze Rettungskonstruktion in einen Selbstflaschenzug um. Einmal gibt es kurzen Applaus von anderen Hüttengästen, der Versuch, für die gebotene Show Geld zu sammeln und die Tourenkasse aufzubessern, misslingt dagegen

Bericht und Bilder: Markus Honervogt